Die Bramburg – wo Sage und Wirklichkeit sich begegnen



Von Hemeln aus führte mich mein Weg auf meiner letzten Wanderung durch den Wald. Der Morgen war frisch, das Laub feucht vom Tau, und über der Weser hing noch dichter Nebel.



 Schritt für Schritt stieg ich höher, bis zwischen den Bäumen Mauerreste auftauchten – die Bramburg.



Ich ließ mich auf einem umgestürzten Baumstamm nieder. Die Stille um mich war dicht und zugleich voller Stimmen, die nur die Fantasie hören konnte. Vor mir die alten Mauern, hinter mir der dunkle Wald, und irgendwo darunter die Weser. Ich schloss die Augen – und plötzlich war ich nicht mehr allein.




Die Weser rauschte, Schiffe glitten den Fluss hinab. Doch kaum erreichte ein Kiel die Höhe der Burg, erklang ein dumpfes Kling-klang aus der Tiefe. Die Kette, gespannt unter der Wasseroberfläche, rüttelte an ihrer Glocke. Sofort regte sich Leben auf den Mauern: Männer mit Rüstungen, die klirrten, als sie hastig die Boote bestiegen. „Halt! Kein Schiff zieht vorbei, ohne der Bramburg seinen Zoll zu entrichten!“

Ein leises Wimmern hallte über den Fluss, als eine junge Frau im weißen Gewand erschien – eine Prinzessin auf Pilgerfahrt nach Corvey. Sie klammerte sich an das Geländer ihres Schiffes, während die Ritter lachend ihre Truhen durchwühlten. Goldene Becher blitzten, Stoffballen wurden an Land getragen.

Die Kunde von diesem Überfall verbreitete sich schnell. Herzog Erich I. schwor Vergeltung und zog mit seinem Heer zur Burg. Wochenlang hallte das Tal von Kriegslärm wider: Hufschläge, das Krachen von Pfeilen gegen Stein, das dumpfe Grollen der Belagerungsmaschinen. Doch die Burg hielt stand, und je länger der Kampf währte, desto finsterer wurde des Herzogs Schwur:
„Kein Mann soll lebendig aus dieser Feste treten!“

Endlich, nach langen Tagen, als Rauch über den Mauern aufstieg und die Burgmannen erschöpft waren, gaben sie auf. Die Tore ächzten, als sie sich öffneten. Heraus trat die Burgfrau, das Antlitz bleich, doch stolz erhoben.

„Herr Herzog“, sprach sie mit fester Stimme, „gewährt mir, dass ich mitnehme, was ich in meiner Schürze tragen kann.“

Erich nickte kalt. „So sei es.“

Da beugte sie sich nieder, hob ihren kleinen Sohn aus der Asche der Kammer und barg ihn in ihrem Schoß. Langsam schritt sie am Herzog vorüber. Er runzelte die Stirn, trat näher, schlug die Schürze zurück – und erstarrte.

Ein Kind, kaum mehr als ein Säugling, blickte ihn mit großen Augen an. Die Zeit schien stillzustehen. Ein Windstoß trug den Geruch von Rauch und Eisen fort, und mitten im Lärm des Heeres trat eine Stille ein.

Erichs Gesicht veränderte sich. Härte wich aus seinen Zügen, und Tränen glänzten in seinen Augen. „So viel Unschuld…“ murmelte er, und seine Stimme brach. „Nimm ihn mit. Und bei Gott – auch dein Gemahl soll leben.“

Die Soldaten senkten ihre Waffen, und der Fluss rauschte weiter, als sei nie Blut vergossen worden.


Ein Rascheln riss mich aus der Träumerei. Vor mir stand nur der verfallene Rest der Burg, Mauerfragmente, von Efeu umrankt. Weder Ritter noch Herzog – nur der Wind, der durch die Steine strich.



Ich stand auf, atmete tief durch und machte mich auf den Rückweg. Diesmal nicht durch den Wald, sondern am Fluss entlang. Der Radweg führte an der Weser zurück nach Hemeln, vorbei am glitzernden Wasser, das unbeirrt seine Bahn zog. Doch in meinem Herzen klang noch die Geschichte nach – als hätte die alte Bramburg sie mir selbst ins Ohr geflüstert.





Kommentare

Marit hat gesagt…
Wonderful story and photos. Greetings, Marit